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Bogenschießen mit Sehbehinderung

Bogenschießen mit Sehbehinderung - man wäre versucht, sofort zu sagen "Das geht doch gar nicht!".

Allerdings gibt es bei uns in der Bogensparte eine Vereinskameradin die diese Aussage nicht gelten lässt, allen das Gegenteil beweist und auch mit diesem Artikel versucht, anderen Interessierten mit Sehbehinderung Mut zu machen, diese spannende und sehr interessante Sportart auszuprobieren.

Wir haben uns mit unserer Vereinskameradin Sabine unterhalten und ganz spannende Einblicke bekommen.

Hallo Sabine.
Hallo.

Stell Dich doch bitte einmal vor.
Ich heiße Sabine, bin 59 Jahre alt, habe seit 28 Jahren Multiple Sklerose mit einer Manifestation (Ausprägung, Anm. d. Red.) am Sehnerv und nur noch 20% Sehkraft auf meinem rechten Auge.

Seit wann betreibst Du Bogensport?
Ich habe im Frühjahr 2022 mit dem Bogensport begonnen. Mein Mann hatte gefragt, ob ich nicht Interesse hätte mal zu einem Training mitzukommen.

Hat Dich dann sofort das Fieber gepackt?
Ehrlich gesagt war ich am Anfang etwas skeptisch wegen meiner Sehkraft. Aber ja, ich fand es sehr interessant.

Warum warst Du skeptisch?
Weil ich eigentlich Rechtshandschützin bin und auch das rechte Auge mein dominantes Auge ist.

Wieso sagst Du "eigentlich"?
Nun ja, begonnen habe ich als Linkshandschützin, weil das Auge mit der besseren Sehkraft ja mein linkes Auge ist. Da ich allerdings Rechtshänderin bin, hat sich das Bogenschießen als Linkshandschützin nie wirklich richtig angefühlt.

Was hast Du dann gemacht?
Da ich am Anfang als Linkshandschützin ja auch mit einem Linkshandbogen geschossen habe, aber nicht wirklich damit zurechtkam, hatte ich in der für Rechtshandschützen normalen Stellung mit dem Linkshandbogen geschossen.

Das hört sich schwierig an. Hat das denn funktioniert, weil die Pfeilauflage ja auf der falschen Seite war. Wie müssen wir uns das vorstellen?
Ja, allerdings passte nicht wirklich etwas zusammen. Ich hatte einen Linkshandbogen in der linken Hand, zog mit der rechten Hand die Sehne aus, kniff mein rechtes Auge krampfhaft zu, und zielte mit meinem linken Auge über den Pfeil. Ich habe als erstes ohne Visier geschossen.

Hast Du die Scheibe getroffen?
Ja, aber gleichmäßig über die ganze Scheibe verteilt (Sabine lacht laut)! Also von gezieltem Treffen konnte wirklich keine Rede sein. Wenn mal ein oder sogar zwei Pfeile im Gold waren, dann waren das eher Zufallstreffer als wirklich gezielte Schüsse.

Du hast also mit einem Recurve Bogen begonnen.
Ja! Den habe ich als Blank Bogen bzw. als Bare Bow geschossen.

Bist Du bei dem Recurve Bogen geblieben?
Nein!

Was hat sich geändert?
Ich habe von einem Vereinskameraden einen Compound Bogen für Rechtshänder ausprobieren dürfen und war von der veränderten Schießart des Compound Bogens sofort fasziniert

Was hat Dich an dem Compound Bogen so sehr fasziniert?
Zuallererst natürlich die Technik und das Aussehen des Bogens. Das hat ja, wenn man Bogenschießen mit unseren Kindertagen vergleicht, wo es darum ging "Flitzebogen zu schießen", gar nichts mehr zu tun. Es ist ja vom Aussehen her ein sehr technischer Bogen. Aber abgesehen von dem veränderten Aussehen und der Technik hat dieser Bogen noch eine weitere sehr faszinierende Eigenschaft, die es mir ermöglicht hat wirklich zu zielen und auch zu treffen.

Das hört sich sehr interessant an. Erkläre uns das doch bitte genauer.
Ich hatte ja schon berichtet, dass ich durch die Multiple Sklerose nur noch 20% Sehkraft auf meinem rechten Auge habe. Leider lässt sich die Sehkraft mit einer Brille nur minimal verbessern. Allerdings ist es so, dass ich auf Grund des besonderen Visiers des Compound Bogens in der Lage war, die Zielauflage etwas größer und auch etwas besser sehen zu können; was dadurch jetzt wirkliches Visieren und Zielen möglich macht.

Das ist spannend. Was ist an diesem Visier anders und hilft Dir zu zielen?
Es sind zwei Dinge durch die diese Verbesserung erzielt wird. Als Erstes ist die verlängerte Brennweite zu nennen. Als zweites ist in dem Compound Visier eine Linse die in Verbindung mit der erweiterten Brennweite eine Sichtverbesserung mit sich bringt und zum anderen eine leichte Vergrößerung der Auflage erzeugt.

Du siehst die Zielauflage also besser. Wie können bzw. müssen wir uns das vorstellen?
Zum besseren Verständnis muss man wissen, dass ich mit meinem rechten Auge quasi alles durch eine dichte Milchglasscheibe oder sehr dichten Nebel sehe. Zur Veranschaulichung der Sichtverbesserung durch das Compound Visier habe ich Bilder gemacht die zumindest näherungsweise die Sichtverbesserung der Zielauflage für mich darstellen.

© ATSV Stockelsdorf - Abteilung Bogensport
Das ist das Bild der Zielauflage, wie Menschen mit normaler Sehkraft die Zielauflage sehen.
© ATSV Stockelsdorf - Abteilung Bogensport
Das ist das Bild der Zielauflage, wie ich sie mit meiner Sehbehinderung sehe.
© ATSV Stockelsdorf - Abteilung Bogensport
Das ist das Bild der Zielauflage, wie ich sie durch das Visier des Compound Bogens sehe.

Das sind sehr gravierende Unterschiede wie sich die Sicht der Zielauflage zwischen Menschen mit normaler Sehkraft und Deiner Sehbehinderung unterscheidet. Ist es mit der Sichtverbesserung denn möglich Deine Trefferlage zu verbessern?
Ja, absolut! Für jemanden mit normaler Sehkraft ist die Verbesserung der Sichtbarkeit wie oben dargestellt nicht gut. Allerdings macht diese Sichtverbesserung für jemanden mit Sehbehinderung einen enormen Unterschied.

Warum bist Du auf den Compound Bogen umgestiegen?
Bei einem Recourve Bogen sind keine Linsen im Visiertunnel erlaubt. Beim Compound Bogen habe ich die Möglichkeit, mit einem Visier mit Linse zu schießen.

Auch wenn wir das nicht hoffen wollen und Deine Sehkraft sich weiter verschlechtert, wäre das dann das Aus bei Dir mit dem Bogenschießen?
Nicht grundsätzlich. Es kommt darauf an um wieviel sich meine Sehkraft verschlechtert.

Warum ist das von Bedeutung?
Nun, es gibt für das Visier eines Compound Bogens verschieden starke Linsen. Die müsste man erst einmal austesten, ob und in wie weit sich mit stärkeren Linsen diese Sehkraftverschlechterung ausgleichen lässt. Außerdem wäre auch zu überlegen, ob man mit Hilfe eines Augenoptikers die Linse des Compound Visiers nicht individuell anpassen könnte.

Es gibt also weitere Möglichkeiten das Compound Visier zu individualisieren und unterschiedliche Sehbehinderungen zu kompensieren?
Ein ganz klares „JA“!

Was könnte man Deiner Meinung nach erreichen? Wäre z.B. die Teilnahme an einem Turnier möglich?
Auf jeden Fall! Je nach Schwere der Sehbehinderung und des individuellen Trainingslevels sind nach meiner Meinung auch durchaus Schussweiten von bis zu 40 Metern erreichbar. Damit wäre schon einmal die Möglichkeit gegeben, an 30m Turnieren im Freien teilzunehmen oder auch Hallenturniere mit 18 oder 25m mitzumachen. Ich persönlich habe jetzt hier im August an unserem Anfängerturnier auf 25m teilgenommen und unter uns gesagt, sogar mehr Ringe als mein Mann mit normaler Sehkraft und seinem Recurve Bogen erzielt!

Was wäre Dein Wunsch für die Zukunft?
Oh, da gibt es einige! Als erstes wäre da, dass mehr Toleranz, Sensibilität und Verständnis für Menschen wächst, denen man Ihre Behinderung, welche auch immer, nicht immer ansieht. Weil, auch wenn man gelernt hat mit diskriminierenden Bemerkungen umzugehen und die eigenen Gefühle wie Verletzung, Traurigkeit oder auch mit der Zeit teilweise Wut zu unterdrücken, damit man nicht noch mehr zur Zielscheibe wird, es tut einfach sehr weh!
Als zweites wäre zu nennen, dass auch Menschen mit einer Sehbehinderung sich trauen würden, diesen herrlichen Sport auszuüben. Ich würde mich freuen, wenn ich nicht alleine bleiben würde die Bogen mit einer Sehbehinderung schießt.

Möchtest Du uns noch etwas mit auf den Weg geben?
Ja, das was für jeden Bogenschützen, egal ob mit oder ohne Behinderung, wichtig ist:

ALLE INS GOLD!

Das ist ein schönes Schlusswort für diesen ganz besonderen Einblick in die Welt einer Bogenschützin mit Sehbehinderung. Vielen Dank, Sabine!
Sehr gerne.

© ATSV Stockelsdorf - Abteilung Bogensport
Sabine beim Anfängerturnier des ATSV in Stockelsdorf am Sonntag, den 28.08.2022 mit Ihrem Compound Bogen.